Kein Strohfeuer bei Europa-Aktien
Experten sehen gute Chancen und haben auch Wienerberger am Radar.
Harald Kolerus. Viele Investoren hat es überrascht, dass die europäischen Börsen seit Oktober 2022 ihre US-amerikanischen Pendants deutlich überrunden konnten. Zu sehen ist das etwa an der Wertentwicklung des EuroStoxx 50, der seither mehr als 25 % zulegte, der S&P 500 hingegen nur rund 10 %. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob es sich dabei um ein kurzes Aufflackern oder eine fundamental getriebene, längerfristige Rallye handelt. Letzteres dürfte der Fall sein.
Positives Bild
Das ist die Conclusio von Stéphanie Bobtcheff (Fondsmanagerin für europäische Small und Mid Caps, LFDE) und Niall Gallagher (Director Europa-Aktien, GAM), die in einem Live-Chat Rede und Antwort standen. Wobei Bobtcheff auf kurze Sicht zu gewisser Vorsicht warnt: „Bei der gegenwärtigen Börsen-Bewegung könnte es sich um einen ‚short spike‘ (also einen kurzfristige Ausschlag nach oben, Anm.) handeln. Außerdem ist ein Ende des Ukraine-Krieges nicht in Sicht; in der gegenwärtigen Situation sind Wirtschaftsprognosen schwierig.“
Langfristig ist die Expertin für europäische Aktien aber positiv gestimmt: „Die Märkte sind lange Zeit weniger Risiko eingegangen, was sich wieder geändert hat und europäische Small und Mid Caps unterstützen sollte.“ Zuvor sind stark kapitalisierte Titel im Mittelpunkt gestanden, weil sie in Risk-Off-Phasen als sicherer gelten. Blue Chips hatten die mittleren
und kleinen Aktien – um rund 20 % – outperformt. Weiters geht die Fondsmanagerin in ihrem Szenario von einer Stabilisierung der Zinsen und dem Höhepunkt der Inflation aus: „Beide Faktoren sind gut für Small und Midcaps.“ Sie rät vor allem auf den „Schlüsselfaktor“ Gewinnwachstum der Unternehmen zu achten, die Auswahl der Sektoren erachtet sie als weniger wichtig.
Lob für Wienerberger
In ihrem Vortrag erwähnte Bobtcheff auch einen österreichischen Titel positiv: Wienerberger. Der Börsen-Kurier wollte natürlich wissen, was der Expertin an dem Unternehmen gefällt? Sie sprach von einem günstigen Kurs, langfristig guten Perspektiven und dem Vorteil eines sinkenden Gaspreises: „Wenn die Rezession nicht so hart ausfällt, sollte sich das positiv auf Bautätigkeit und Renovierungen auswirken, man denke auch an das Thema Energieeffizienz. Vom Risiko-Ertrags-Verhältnis ist Wienerberger sehr attraktiv und für positive Überraschungen gut.“
Günstige Titel
Gallagher zeigte sich ebenfalls optimistisch für europäische Aktien: „Sie sind historisch gesehen, aber auch im Vergleich zu anderen Asset-Klassen, günstig bewertet. Die Stimmung in den Unternehmen selbst hat sich verbessert. Weiters spielt in die Hände, dass die Energiekrise nicht so schlimm ausgefallen ist wie ursprünglich befürchtet. Die Energiepreise sind heute nicht mehr so hoch wie im vergangenen Sommer.“ Der Experte führte außerdem ins Treffen, dass europäische Unternehmen einen großen Teil ihrer Erträge (rund 60 %) außerhalb des eigenen Kontinents erwirtschaften. „Somit sollten Europa-Aktien auch von der US-Wirtschaft profitieren, die sich recht stark zeigt, und natürlich von der Öffnung Chinas nach Beendigung der Null-Covid-Politik.“
Gallagher praktiziert Bottom-Up-Research und Stock-Picking, dennoch wies er auf Megatrends wie Digitalisierung und die Transformation in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft hin. Dekarbonisierungs-Bestrebungen würden zu einem enormen Investment-Boom führen. In allen genannten Bereichen seien interessante Aktien aus Europa zu finden.
Der Aufstieg der chinesischen Mittelklasse sei wiederum für Luxus-Marken positiv. Die meisten davon finden sich – erraten! – in Europa.
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