Ausblick 2023: Die wichtigsten Trends für die Aktienmärkte
(22.12.) Eine Auswahl an GAM-Fondsmanagern gibt eine aktuelle Einschätzung zum Ausblick für 2023 für ihre jeweiligen Anlageklassen.
Europäische Aktien: Neues Umfeld hat begonnen von Niall Gallagher, Investment Director, European Equities
2022 war ein turbulentes Jahr, in dem die Energiepreise in Europa nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ein noch nie dagewesenes Niveau erreichten und in dem die Inflation nach einer längeren Pause zurückkehrte. Auch wenn diese zwei Faktoren noch nicht vollständig überwunden sind, sind wir der Ansicht, dass sich die Aktienmärkte bereits weitgehend angepasst haben. Europa wird mittlerweile mit dem 11-fachen der zukünftigen Gewinne bewertet, gegenüber einem langfristigen Durchschnitt von 14. Diese drastische Herabstufung des Marktes in Verbindung mit dem bereits deutlichen Anstieg der Anleiherenditen und den Währungsanpassungen deuten darauf hin, dass ein Großteil der erforderlichen Anpassungen bereits erfolgt sein könnte.
Unseres Erachtens sind die Märkte in ein neues Umfeld eingetreten, in dem sowohl der Inflationsdruck – und damit die Zinsen – als auch die Energiepreise, insbesondere in Europa, weiterhin auf hohem Niveau verharren werden. Allerdings wurde die Widerstandsfähigkeit der Gewinne europäischer Unternehmen in der Berichterstattung des Jahres 2022 deutlich. Und obwohl wir für 2023 einige Schwachpunkte erwarten, betrachten wir diese Widerstandsfähigkeit insgesamt weiterhin als gegeben, was überwiegend auf den Erfolg europäischer Unternehmen auf den internationalen Märkten zurückzuführen ist. Mehr als 50 % der Erträge werden außerhalb Europas erzielt. Der Finanzsektor bleibt für uns ein Schlüsselsektor, da sich höhere Zinsen in einer verbesserten Rentabilität niederschlagen. Eine Mischung aus gut kapitalisierten Bilanzen, die von der Regulierung nach der globalen Finanzkrise profitieren, und geringer verschuldeten Verbrauchern bedeutet zudem, dass wir insgesamt nur mit einem geringen Abschmelzen der Kreditbestände rechnen. Der Energiesektor bleibt ebenfalls ein Schwerpunkt, da wir von mittelfristig höheren Energiepreisen ausgehen und die Unternehmen, die sich von fossilen Brennstoffen auf alternative Energiequellen umstellen, als Schlüsselfaktoren für die weitere Entwicklung der Energiewirtschaft betrachten.
Der technologische Wandel setzt sich fort; wir suchen ständig nach Unternehmen, die von den strukturellen Verschiebungen profitieren. Dazu zählt der Wechsel von Offline zu Online, der sowohl für ausgewählte Einzelhändler, die diese schockartige Umstellung erfolgreich gemeistert haben, als auch für den Fintech-Sektor positiv ist. Digital 4.0 wird weiterhin das Wachstum in den Bereichen Cloud Computing, Internet der Dinge, 5G und digitale Produktion vorantreiben, und Halbleiter werden weiterhin im Mittelpunkt dieses Wachstums stehen, in dem europäische Unternehmen weltweit führend sind.
Und schließlich scheint Asien endlich die strengen Covid-«Lockdowns» hinter sich zu lassen, was erneut eine kontinuierliche Ausdehnung der Mittelschicht ermöglichen dürfte, die bis zum Jahr 2030 zwei Drittel der weltweiten Mittelschicht ausmachen wird. Wir gehen davon aus, dass dieser Trend am besten durch die erfolgreichsten Luxusunternehmen mit Hauptsitz in Europa abgebildet werden kann.
Disruptive Trends: Digital 4.0 und Cybersicherheit im Fokus Von Mark Hawtin, Investment Director, Disruptive Growth Equities
Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass Wachstumsaktien in Zeiten von Zinserhöhungen eine relativ gute Wertentwicklung zeigen, jedoch in Zeiten erhöhter Unsicherheit bezüglich der Zinsentwicklung und des geeigneten Ausstiegs aus dem Zinsmarkt tendenziell schlecht abschneiden. Dies hat sich für den überwiegenden Teil des Jahres 2022 bestätigt. In diesem Zeitraum konzentrierten wir uns darauf, Risiken zu mindern, indem wir das Muster der Marktaktivität analysierten und die Kapitalbindungszeit verkürzten. Die Anpassung des Marktes an das neue Zinsumfeld in Verbindung mit einer verbesserten Transparenz der Entwicklung und der Höhe der US-Zinssätze sollte es den Marktteilnehmern nun ermöglichen, sich wieder auf die Fundamentaldaten zu konzentrieren. Die Aussichten für disruptive Entwicklungen und die Ausbreitung einer immer stärker digitalisierten Welt bleiben äußerst positiv. Dies wird wie immer die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern verstärken und somit die Alpha-Generierung sowohl durch die Suche nach den Gewinnern als auch durch die Vermeidung von Verlierern mit unterdurchschnittlicher Performance erhöhen.
Auch im Jahr 2023 werden wir uns auf die vielversprechenden Chancen konzentrieren, die Technologiewerte bei der Herausforderung etablierter Unternehmen bieten, wie beispielsweise im Bereich Digital 4.0, der für uns ein Schlüsselthema bleibt. Im Teilsektor Konnektivität haben Bedenken über eine nachlassende Nachfrage in der Branche und ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu einer starken Abwärtsspirale bei hoher Volatilität in der Halbleiterindustrie geführt. Wir sehen jedoch erhebliches Aufwärtspotenzial für einige Titel, sobald sich dieses Ungleichgewicht stabilisiert.
Das Metaverse und seine Einführung wurde zu einem wichtigen Diskussionspunkt, da es sich noch in den Kinderschuhen befindet. Wir sehen die Einführung als längerfristiges Thema, gehen aber davon aus, dass die Cashflow-Generierung der Infrastrukturtechnologien des Metaverse, wie ARVR und Blockchain, ein kurzfristiger Vorteil sein wird, der unsere langfristige positive Haltung insgesamt untermauert, während wir kurzfristige Stimmungsschwankungen im Auge behalten. Darüber hinaus bleibt Cybersicherheit ein aktives Anlagethema, da die Verbraucherbedürfnisse nach Schutz ihrer Online-Privatsphäre, ihres Heimnetzwerks sowie ihrer Geräte das Wachstum vorantreiben. Wir suchen nach Unternehmen, die gut positioniert sind und über Cross-Selling-Möglichkeiten verfügen, um die Online-Vernetzung zu erhöhen.
China erlebte ein schwieriges Jahr, bleibt jedoch ein Anlageschwerpunkt. Wir haben in der Vergangenheit in China erhebliches Alpha generiert und stufen die aktuellen Makrotrends als unterstützend für die Aktienmärkte ein, deren Bewertungen unverändert weit unter den historischen Vergleichsniveaus liegen. Wir bevorzugen qualitativ hochwertige Internetunternehmen mit attraktiven Bewertungen und nachvollziehbarer Gewinnentwicklung, da die führenden E-Commerce-Anbieter ihre Marktdurchdringung ausbauen und die Rentabilität erneut in den Vordergrund stellen.
Schwellenländer: START-Aktien sollten FAANG übertreffen Von Tim Love, Investment Director, Emerging Markets Equities
Nach einem Kursrückgang um ein Drittel und einem 21 Monate andauernden unruhigen Abwärtstrend haben wir Anfang des dritten Quartals 2022 unser Engagement in Schwellenländern (EM) wieder erhöht. Sowohl qualitative als auch quantitative Gesichtspunkte haben stark darauf hingedeutet, dass EM-Aktien einen antizyklischen Kaufzeitpunkt erreicht hatten. Obwohl wir auf relativer Basis zu den Aktien der entwickelten Märkte (DM) richtig gelegen zu haben schienen, war erst Mitte November 2022 ersichtlich, dass sich ein absoluter Preisanstieg bei EM-Aktien einstellt.
Die Logik für die Realisierung eines erheblichen Aufwärtspotenzials bei den Bewertungen der Schwellenländeraktien liegt in einer Reihe von Schlüsselkatalysatoren, die der Anordnung in einer Spiralfeder gleichen. Die Katalysatoren: Ein Höchststand des US-Dollars sowie neue politische Unterstützung in China, insbesondere für Immobilien und Banken, in Kombination mit einer zumindest teilweisen Aufhebung der Covid-Beschränkungen in China nach dem Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas im November 2022 (NCCCP). Eines dieser Ereignisse würde unserer Meinung nach den Aufwärtstrend der EM-Aktien im Jahr 2023 erheblich vorantreiben, unterstützt durch robuste und reformierte EM-Aktiengewinne, die zu einem starken Gewinnwachstum pro Aktie (EPS) im Jahr 2023 führen würden, in Kombination mit einer massiven potenziellen Ausweitung der EM-Aktienbewertungen.
Das Ertragspotenzial: 15 Jahre unruhige Seitwärtsentwicklung sind vergleichbar mit dem Zusammendrücken einer gespannten Feder. Es herrschen mittlerweile eine Reihe positiver Risiko-/Ertragschancen (Marktabschwung, Covid, Ölpreisschock), die sich mit der Situation der Jahre 2003 bis 2008 (nach den Asienkrisen, SARS) decken. Relative und absolute Renditen ermutigen dazu, diesen vielversprechenden zyklischen und säkularen Einstiegspunkt erneut zu prüfen. Geringe Liquidität, geringe Positionierung und negative Stimmung könnten unserer Ansicht nach 2023 ein attraktives Risiko-/Ertragsverhältnis für EM-Aktien schaffen. Abschottung ist das Motto von gestern.